Andrea Dauch ist Expertin für Veränderungsprozesse. In diesem Interview spricht sie über Fehler und Erfolgsfaktoren beim Changemanagement.
Andrea Dauch: Umstrukturierungen, Auf- und Abschwung, sowie Veränderung in der Strategie sind die Veränderungsanlässe, die meist auch von den obersten Ebenen ernst genommen und entsprechend vorbereitet werden.
Es gibt aber viele vermeintlich kleine Veränderungen, die als „gar nicht so schlimm“ eingestuft werden, für die Mitarbeiter aber riesige Auswirkungen haben. Ich wurde in diesem Jahr von einem Vorstand eines großen Unternehmens mit den Worten „die nächste Veränderung muss funktionieren“ engagiert. Nachdem ich nun viele Mitarbeiter kennengerlernt habe, registriere ich, dass viele Kleinigkeiten, die mal eben eingeführt wurden, wie open seating oder ein digitalisierter Workflow nach vier Jahren nicht akzeptiert sind, zur Frustration und bei einigen auch zur Blockade führen.
Somit bitte immer daran denken: Themen, die für Sie nicht wichtig sind (z. B. veränderte Öffnungszeiten, Umzug ins Nachbargebäude, etc.) haben für Mitarbeiter häufig eine viel wichtigere Bedeutung und müssen daher auch als Changeprozess behandelt werden.
AD: Ich selbst war 17 Jahre beim größten deutschen PDL. Wenn ich mich an meine Zeit als Disponent erinnere, habe ich noch das Synchronisationsverbot berechnet, dann kam die Öffnung mit den Hartz Gesetzen und dann wurde es mit den Branchenzuschlägen, Höchstüberlassungsdauern, etc. immer komplizierter.
Die Zeitarbeit ist eine der Branchen, die eine hohe Veränderungsbereitschaft benötigen. Und es ist ja nicht nur die Politik, die Veränderungen nötig macht. Auch Kunden fordern und verändern. Auch auf Mitarbeitende, die sich hin und wieder dazu entscheiden, morgens nicht zur Arbeit zu erscheinen, muss reagiert werden.
Laut einer Bertelsmann Studie scheitern 61% der Veränderungsprojekte, weil nur unzureichendes Engagement in den obersten Führungseben vorhanden ist.
Die Vorbildrolle benötigt es auf allen Ebenen. Dinge, die andere verändern sollen, ich selbst aber nicht nachhaltig tue, scheitern an der Glaubwürdigkeit des Vorbilds.
Aber es gibt noch weitere Herausforderungen wie z. B. fehlende Erfahrung im Umgang mit Veränderungsprozessen, Uneinigkeit auf den obersten Führungsebenen (einheitliche Stimme), mangelnder Informationsfluss an die Mitarbeiter, fehlende Ressourcen, etc. die erfolgreiche Veränderung torpedieren können. Aus meiner Erfahrung scheitert es viel häufiger an solchen Themen, als an der Bereitschaft der Mitarbeiter.
AD: Das mache ich gerne anhand einer Situation, die ich erlebt habe. Im letzten Jahr ist mir auf dem Weg zum Kunden ein Auto ungebremst aufgefahren.
Mein erster Gedanke war: Mist (oder noch böser). Ich habe es tatsächlich mit aufgerissenen Augen im Rückspiegel kommen sehen – die erste Phase ist der SCHOCK!
Und dann passiert etwas Unrealistisches: Ich saß tatsächlich in meinem Auto und habe mir gedacht, wird schon nichts passiert sein. Bei ca. 60 km/h sicherlich naiv. Aber ganz normal- die zweite Phase ist die VERNEINUNG.
Ich bin ausgestiegen und dann kam die RATIONALE EINSICHT. Der komplette Kofferraum war eingedellt. Hier ging’s dann mit meiner Stimmung nach unten und ich war einige Minuten starr vor Überforderung.
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Mit der AKZEPTANZ bin ich quasi wieder aufgewacht: „Ok das ist jetzt so, was ist nun zu tun?“ Sobald ich eine Veränderung akzeptiere, habe ich den tiefsten Punkt erreicht und es geht nun emotional wieder aufwärts.
Das AUSPROBIEREN startet. In meinem Fall bedeutete dies: Braucht es einen Abschleppwagen, fährt das Auto noch, usw. Das ist eine ganz wichtige Phase, denn wenn das Ausprobieren von Misserfolgen begleitet wird und nichts klappt, kann hier ein Veränderungsprojekt nochmal richtig kippen.
Mit dem Abwägen kommt dann auch die ERKENNTNIS, welcher Weg in der Umsetzung funktioniert: Mein Auto lässt sich noch bewegen und ich stelle es am Straßenrand ab, bis es zur Werkstatt gebracht werden kann.
Danach haben wir die Phase der INTEGRATION erreicht.
Übrigens kommt in vielen Fällen eine nicht zu unterschätzende Phase noch dazu. Die steht ganz am Anfang: die Phase der VORAHNUNG. Da ist noch gar nichts kommuniziert, aber die Mitarbeiter ahnen, dass da etwas kommt. Hier startet im Übrigen schon der Produktivitätsverlust.
Jeder Mensch durchläuft diese Veränderungskurve- im Übrigen auch bei positiven Veränderungen – der eine schneller und der andere langsamer. Das liegt am jeweiligen Veränderungstypen – bin ich (in den Extremen) der Blockierer oder der Visionär.
An eine Sache sollte bei einer Veränderung immer noch gedacht werden:
Sobald Sie die Veränderung kommunizieren, sind Sie persönlich auf Ihrer Veränderungskurve schon viel weiter, der Mitarbeiter startet nun erstmal mit dem Schock.
Während Sie möglicherweise schon an Anwenden denken, benötigt der Kollege in der ersten Phase eine ganz andere Führung und Aufmerksamkeit.
AD: Einzuschätzen, in welcher Phase sich der jeweilige Mitarbeiter befindet und darauf meine Führung auszurichten, ist für mich der Schlüsselfaktor für den Erfolg einer Veränderung. Und es ist im Übrigen auch der meist vergessene. Und hier fasse ich mich zu allererst an meine eigene Nase. Auf meinem Schreibtisch als Regionaldirektorin bei einem PDL lagen so viele Veränderungen, viele waren fachlich aufwendig und ich war viel zu oft im „Abarbeitungshamsterrad“. Es hat lange gedauert, zu verstehen, dass mein Zeitinvest in die Vorbereitung und Führung der Veränderung mir im Nachgang Nerven, graue Haare und vor allem Zeit spart.
Also nochmal zurück: Ich muss Mitarbeitende in ihrer jeweiligen Phase abholen.
Vorahnung: Die Veränderung so schnell wie möglich kommunizieren.
Schock: Informieren (3-7 mal), am besten persönlich, ehrlich sein und konsequent bleiben (also keine „Aufweichungen“ zulassen)
Verneinung: Weiterhin kommunizieren, die Veränderung wiederholt erklären und Einwände bearbeiten, sowie Widerstände ernst nehmen. Dosierte Emotionen dürfen sein. Zeit geben! Wichtig hier: den Widerstand nicht persönlich nehmen.
Rationale Einsicht: Unterstützen und qualifizieren. Vermeiden Sie Gesichtsverluste bei den Mitarbeitern. Geben Sie eine Plattform zum ersten Üben. Leben Sie vor und loben Sie die ersten Schritte.
Akzeptanz: Ermutigen und qualifizieren. Schenken Sie Vertrauen und geben Rückendeckung. Bleiben Sie für die Mitarbeiter präsent und ansprechbar. Etablieren Sie Rollenmodelle und teilen Best Practice.
Ausprobieren: Entwickeln und coachen. Lassen Sie Fehler zu und planen Sie Lernkurven ein. Bewahren Sie den Überblick und geben Feedback. Jetzt ist Ausdauer in Form von „dranbleiben“ gefragt.
Erkenntnis: Coachen und reflektieren bedeutet regelmäßiger Informationsaustausch, Bestätigung, Anerkennung. Machen Sie Entwicklungen und Erfolge sichtbar.
Integration bedeutet „bald geschafft“. Ihre Aufgaben sind nun monitoren, abschließen und begleiten. Optimieren Sie nur noch, geben Zeit zum „Setzen“. Reflektieren Sie die Entwicklung, feiern und zeigen Sie Zukunftsschritte auf.
AD: Grundsätzlich ist Widerstand etwas Positives, denn es bringt die Themen hervor, die noch, nochmal oder noch besser erklärt werden müssen. Die erste Aufgabe für eine Führungspersönlichkeit ist, sich über Diskussion und Rückfragen zu freuen und sich diesen zu stellen, denn die offene Einstellung beeinflusst auch das Endergebnis positiv.
Ich werde immer nervös, wenn nach einer „Veränderungskommunikation“ alle nicken und signalisieren „klar machen wir“– das ist für mich eher ein Indikator, besonders aufmerksam zu sein und zu beobachten, wie und ob die ersten Maßnahmen umgesetzt werden. Generell können Sie sich merken:
Es gibt keine Veränderung ohne Widerstand, denn Sie können nicht an alles denken, was die Mitarbeiter bewegt. Jeder Widerstand enthält eine verschlüsselte Botschaft, die noch eine Erklärung oder Reaktion benötigt. Wenn Sie Widerstand nicht beachten, führt dies mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Blockaden und damit zu einem zähen Veränderungsprozess.
AD: Es ist auf jeden Fall wichtig, die Erwartungshaltung auf realistisch zu schrauben! Viel zu oft ist die Erwartungshaltung: „ich hab’s doch kommuniziert, ab jetzt wird es steil besser“. Das ist nicht realistisch. Wer sich verändern will, benötigt Zeit zum Verstehen, zum Üben, zum daraus Lernen. Probieren Sie es einfach mal selbst aus und schreiben drei Sätze mit Ihrer NICHT-Schreibhand. Das dauert und wird mit erst dem zweiten Satz langsam schneller.
Je besser Sie als verantwortlicher Veränderer Ihre Hausaufgaben machen, die Veränderung vorbereiten und erklären, umso näher kommt die Realität an die Erwartungshaltung ran.
AD: Mit meinen Kunden arbeite ich regelmäßig die „Kotter-Faktoren“ durch:
Ein gutes Klima für Veränderung schaffen:
Problem sichtbar machen und das Warum erklären
Verbündete schaffen als Multiplikator
Ziel und Vision kommunizieren
Die Veränderung umsetzen:
Kommunikation mit Hilfe eines Kommunikationsplans
Hindernisse aus dem Weg räumen (wenn dazu keine Bereitschaft besteht, die Veränderung besser lassen)
Erfolge kommunizieren und feiern
Das Schwierigste ist, die Veränderung nachzuhalten, dranzubleiben und in den Alltag zu implementieren. Bis eine Veränderung wirklich verinnerlicht ist, benötigt es 6 bis 24 Monate.
AD: Ich selbst habe mich als Führungskraft mit dem Thema Veränderung beschäftigt, weil es viel zu oft „zäh“ war – für mich war es eine Kleinigkeit, zum Beispiel die Personalakte zu digitalisieren. Ich habe das natürlich einmal kommuniziert und bestimmt auch gesagt, dass es doch toll ist, nun kein Papier mehr abzuheften, aber das war’s dann wahrscheinlich auch. Thema war es dann erst einige Monate später wieder … als Problem auf meinem Schreibtisch „Andrea, da müssen wir uns irgendwie drum kümmern, das klappt nicht so richtig.“ Das ist eines der Beispiele, das dazu geführt hat, dass ich damals für mein Führungsteam und mich einen Experten engagiert habe, der uns einige Dinge beigebracht hat.
Mit der vermeintlich zeitaufwändigeren Vorbereitung (Warum?, Vision, Kommunikationsplan), der verbesserten Kommunikation (wiederholen, unterschiedliche Kanäle, nachfragen, was ist angekommen) und dem richtigen Nachhalten (das Thema über mehrere Monate auf der persönlichen Agenda lassen), haben wir danach die Themen immer besser umsetzen können.
In meiner heutigen Rolle ist das sozusagen noch einfacher. Die Kunden nutzen mich als Erinnerer, als „erhobenen Zeigefinger“, als neutralen Kommunikator, als Verständnisabgleicher, als Wissensvermittler, als Moderator, als Motivator – eben als Prozessbegleiter.
Vielen Dank für das Gespräch!