Die Tarifverträge der Zeitarbeit und deren Auslegung waren in der jüngeren Vergangenheit Gegenstand zahlreicher Gerichtsentscheidungen. So hat das Hess. LAG entschieden, dass der Personaldienstleister auf Grundlage des zwischen dem BAP und den DGB-Gewerkschaften der Tarifgemeinschaft Zeitarbeit abgeschlossenen Manteltarifvertrags (MTV BAP/DGB) nicht berechtigt sein soll, Minusstunden für einsatzfreie Zeiten auf im Arbeitszeitkonto des Zeitarbeitnehmers angesparte Guthaben anzurechnen, selbst wenn die Vergütung kontinuierlich weitergezahlt wird (Urt. v. 28.04.2016 – 9 Sa 1287/15, 9 Sa 1288/15; a.A. hingegen: Hess. LAG v. 09.06.2015 – 15 Sa 766/14). Auch in einer anderen Angelegenheit war der MTV BAP/DGB und dessen Auslegung – wiederum beim Hess. LAG – streitentscheidend – diesmal hinsichtlich der von dem Zeitarbeitnehmer geltend gemachten tariflichen Nachtarbeitszuschläge (Urt. v. 24.05.2016 – 4 Sa 1055/15).
„§ 7 Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit/Zuschläge
[…]
§ 7.2 Nachtarbeit ist die Zeit zwischen 23.00 Uhr und 6.00 Uhr.
Die Höhe des Zuschlags für Nachtarbeit richtet sich nach der Zuschlagsregelung des Kundenbetriebes. Sie beträgt höchstens 25 % des jeweiligen tariflichen Stundenentgeltes nach §§ 2 bis 6 des Entgelttarifvertrages.“
Für die Stammbelegschaft des Kunden gilt ein mit ver.di geschlossener Firmenentgelt- und -manteltarifvertrag, dessen § 9 Nr. 1 folgenden Wortlaut hat:
„§ 9 Zeitzuschläge
Für folgende Erschwernisse wird ein Zuschlag gezahlt:
[…]
Für Arbeiten in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr ist ein Nachtarbeitszuschlag von 25 % zu zahlen, sofern mindestens zwei Stunden in dieser Zeit gearbeitet wird.“
Die Klägerin war zwar zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr bei dem Kunden im Einsatz, jedoch nicht mindestens zwei Stunden. Der beklagte Personaldienstleister zahlte keinen Nachtzuschlag mit der Begründung, dass die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt seien. Die Klägerin meint hingegen, dass § 7 MTV BAP/DGB nur bezüglich der Höhe des Stundenzuschlags auf die bei dem Kunden geltende Regelung verweise, nicht aber hinsichtlich des zuschlagspflichtigen Zeitraumes.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. § 7.2 MTV BAP/DGB sehe keinen eigenständigen Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag vor, sondern verweise auf die Regelung im Kundenbetrieb. Daher bestehe der Anspruch nicht, weil das Tatbestandsmerkmal der Leistung von mindestens zwei Stunden Nachtarbeit nicht erfüllt sei.
Das Hess. LAG hat die von der Klägerin eingelegte Berufung zurückgewiesen. Die Klageforderung könne nicht auf § 7.2 MTV BAP/DGB gestützt werden.
Nach den allgemeinen Grundsätzen sei bei der Auslegung von tariflichen Regelungen als Rechtsnormen von deren Wortlaut auszugehen. Zu erforschen sei der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Wortlaut zu haften. Dabei seien der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der beabsichtigte Sinn und Zweck der Bestimmung zu berücksichtigen, soweit dieser in den Normen Niederschlag gefunden habe. Im Zweifel sei die Auslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führe.
Danach sei zwar zuzugestehen, dass der von den Tarifvertragsparteien verwendete Begriff „die Höhe des Zuschlags“ in § 7.2 MTV BAP/DGB dahingehend verstanden werden könne, dass diese Norm allein hinsichtlich der Höhe des Zuschlags für jede Nachtarbeitsstunde auf die beim Kunden geltende Regelung verweisen solle. Diese Auslegung würde jedoch zu kurz greifen. Diese sei bereits begrifflich fragwürdig. Die den Anspruch auf einen Zuschlag einschränkenden Voraussetzungen, wie hier das Kriterium der mindestens zweistündigen Tätigkeit innerhalb der Nachtzeit, wirkten sich nämlich ebenfalls auf dessen Höhe aus. Sollten die Voraussetzungen nicht erfüllt sein, liege die Höhe des Zuschlags nämlich bei Null.
Ausschlaggebend sei indessen, dass § 7.2 MTV BAP/DGB erkennbar nicht den Zweck habe, Zeitarbeitnehmer bei bestimmten Leistungen (entsprechendes gelte für Sonn- und Feiertagszuschläge gem. § 7.3 MTV BAP/DGB) besser zu stellen als die Stammmitarbeiter des Kunden. § 7.2 MTV BAP/DGB habe eine durch die Beschränkung der Nachtarbeitszeit auf die Zeit von 23.00 bis 6.00 Uhr und der Zuschlagshöhe auf maximal 25 % des tariflichen Stundenlohns eine zweifach limitierende Gleichstellungsfunktion erfahren. Insoweit solle in einem bestimmten Umfang der equal pay-Gedanke umgesetzt werden. Ein weitergehender Zweck sei der Norm hingegen nicht zu entnehmen. Die Annahme, für Zeitarbeitnehmer sollten im Vergleich zu den Stammmitarbeitern des Kunden teilweise günstigere Arbeitsbedingungen geschaffen werden, indem das dort geltende Erfordernis einer mindestens zweistündigen Arbeit während der Nachtzeit nicht gelte, erscheine – im Gegenteil – als lebensfremd, da sie mit den ökonomischen Grundlagen des Geschäftes von Zeitarbeitsunternehmen kaum vereinbar sei. Da die Klägerin die vor diesem Hintergrund geltende Anspruchsvoraussetzung einer mindestens zweistündigen Tätigkeit während der Nachtarbeitszeit in den maßgeblichen Zeiträumen nicht erfüllt habe, stehe ihr auch ein Anspruch auf einen entsprechenden Zuschlag für diese nicht zu.
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Autor
Dr. Alexander Bissels
Fachanwalt für Arbeitsrecht
alexander.bissels@cms-hs.com