Das BAG hat sich mit der Frage befassen müssen, ob ein Zeitarbeitnehmer einen Anspruch auf Zahlung eines Nachtarbeitszuschlags geltend machen kann, wenn zwar die Voraussetzungen des Tarifwerks der Zeitarbeit (hier konkret: § 7 MTV BAP/DGB) erfüllt sind, aber im Kundenbetrieb für die dort tätigen Stammbeschäftigten ergänzende Anforderungen für die Gewährung eines Nachtarbeitszuschlags gelten, die nicht vorlagen. Anders als die beiden Vorinstanzen (ArbG Darmstadt v. 28.07.2015 – 3 Ca 571/15; Hess. LAG v. 24.05.2016 – 4 Sa 1055/15) hat das BAG einen solchen Anspruch des Zeitarbeitnehmers bejaht (Urt. v. 18.10.2017 – 10 AZR 578/16). Inzwischen liegen auch die vollständig abgesetzten Entscheidungsgründe vor.
Die Beklagte ist ein Personaldienstleister und Mitglied des BAP. Die Klägerin (bei ver.di organisiert) war für die Beklagte seit dem 11.10.2012 als Zeitarbeitnehmerin zu einer Bruttostundenvergütung i.H.v. zuletzt 8,50 Euro tätig.
Der MTV BAP/DGB (in der Fassung vom 17.09.2013) sieht zu Nachtzuschlägen folgende Regelung vor:
„§ 7
Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit/Zuschläge
[…]
§ 7.2
Nachtarbeit ist die Arbeit in der Zeit zwischen 23.00 Uhr und 6.00 Uhr.
Die Höhe des Zuschlags für Nachtarbeit richtet sich nach der Zuschlagsregelung des Kundenbetriebes. Sie beträgt höchstens 25 % des jeweiligen tariflichen Stundenentgeltes nach §§ 2 bis 6 des Entgelttarifvertrages.“
Die Klägerin wurde in den Monaten Juli bis September 2014 bei dem Kunden F eingesetzt. Sie arbeitete dort in der Zeit von 05:00 Uhr bis 14:00 Uhr. Nachtarbeitszuschläge hat die Beklagte der Klägerin für die im Einsatzbetrieb jeweils zwischen 05:00 und 06:00 Uhr geleisteten insgesamt 25 klagebefangenen Arbeitsstunden nicht gezahlt.
Für die Stammbelegschaft des Kunden galt ein von diesem mit ver.di geschlossener Manteltarifvertrag (MTV F), der auszugsweise wie folgt lautet:
„§ 9 Zeitzuschläge
a) Für folgende Erschwernisse wird ein Zuschlag gezahlt:
[…]
b) Für Arbeiten in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr ist ein Nachtarbeitszuschlag von 25 % zu zahlen, sofern mindestens 2 Stunden in dieser Zeit gearbeitet wird.“
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, aus dem MTV BAP/DGB ergebe sich ein Anspruch auf Nachtarbeitszuschläge, soweit Nachtarbeit in der Zeit zwischen 22:00 und 06:00 Uhr geleistet werde. Auf die Bestimmungen im Tarifvertrag des Kundenbetriebs komme es nicht an, da dieser hinsichtlich der Höhe des Zuschlags keine abweichende Regelung treffe. Die Beklagte ist hingegen der Ansicht, es bestehe kein Anspruch; die tariflichen Regelungen des Einsatzbetriebs verlangten schließlich einen Mindesteinsatz von zwei Stunden während der Nachtarbeit. In diesem Umfang habe die Klägerin aber nicht gearbeitet.
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Bereits der Wortlaut der Tarifbestimmung, von dem vorrangig auszugehen sei, spreche für ein solches Verständnis. § 7 MTV BAP/DGB trage die Überschrift „Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit/Zuschläge“. § 7.2 Abs. 1 MTV BAP/DGB definiere dabei nicht nur – anders als beispielsweise § 2 Abs. 3 ArbZG – danach, was als Nachtzeit im Tarifsinne gelte, sondern fixiere, dass Nachtarbeit die Arbeit in der Zeit zwischen 23:00 und 06:00 Uhr sei. Die Erbringung von Arbeit sei im Arbeitsverhältnis die Grundvoraussetzung für einen Vergütungsanspruch und lasse diesen entstehen. In Verbindung mit der Überschrift könne dies deshalb nur so verstanden werden, dass die Tarifnorm dem Grunde nach festlege, welche Arbeit in welchem Zeitraum einen Nachtarbeitszuschlag auslöse. Diesem Verständnis entspreche der Wortlaut von § 7.2 Abs. 2 MTV BAP/DGB. Dieser Teil der Norm lege fest, dass sich die Höhe des Zuschlags nach der Regelung des Kundenbetriebs richte. Der Nachtarbeitszuschlag sei dabei begrenzt auf 25 % des jeweiligen tariflichen Stundenentgelts nach dem Entgelttarifvertrag. Der Begriff „Höhe“ bestimme typischerweise einen Geldbetrag oder – im Bereich der Zuschläge häufiger – einen bestimmten Prozentsatz des Stundenentgelts. Hingegen werde durch den Begriff der Höhe regelmäßig nicht festgelegt, unter welchen Voraussetzungen ein Zuschlag dem Grunde nach zu leisten sei.
Auch Systematik und Tarifzusammenhang machten deutlich, dass § 7.2 Abs. 1 MTV BAP/DGB dem Grunde nach die Voraussetzungen für den Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag, § 7.2 Abs. 2 MTV BAP/DGB hingegen die Höhe dieses Zuschlags festlege. Nach der Überschrift der Norm treffe § 7 MTV BAP/DGB Bestimmungen über Zuschläge für Arbeit unter erschwerten Bedingungen, nämlich in der Nacht und an Sonn- und Feiertagen. § 7.2 MTV BAP/DGB regele dabei die Zuschläge für Nachtarbeit. In zwei – jeweils optisch getrennten – Absätzen werde zwischen der Definition, was Nachtarbeit im tariflichen Sinn sei, und der Zuschlagshöhe unterschieden. § 7.2 Abs. 1 MTV BAP/DGB bestimme zunächst, in welcher Zeitspanne Arbeit überhaupt als Nachtarbeit anzusehen sei. § 7.2 Abs. 2 MTV BAP/DGB verweise sodann hinsichtlich der Höhe des Zuschlags auf fremde Regelungen, nämlich auf diejenigen im Einsatzbetrieb. Dabei gölten diese nicht vollständig – die Zeitarbeitnehmer würden insoweit nicht den Mitarbeitern des Kundenbetriebs gleichgestellt, sondern Satz 2 sehe eine Obergrenze des Nachtarbeitszuschlags bezogen auf einen bestimmten Prozentsatz des tariflichen Stundenentgelts nach dem ETV BAP/DGB vor.
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Hätten die Tarifvertragsparteien Grund und Höhe der Anspruchsvoraussetzungen für einen Nachtarbeitszuschlag nach der Zuschlagsregelung im Kundenbetrieb bestimmen wollen, hätte es nahegelegen, eine andere Systematik anzuwenden. § 7.2 Abs. 1 MTV BAP/DGB hätte entfallen und die Bestimmung sich auf § 7.2 Abs. 2 MTV BAP/DGB beschränken können. Dies sei aber gerade nicht erfolgt. Vielmehr sei im Grundsatz eine eigenständige Regelung zur zuschlagspflichtigen Nachtarbeit – ebenso wie in § 7.3 MTV BAP/DGB hinsichtlich der Sonn- und Feiertagsarbeit – geschaffen worden. Dort werde in den Absätzen 1 und 2 zunächst definiert, was als Sonn- und Feiertagsarbeit im Sinne des MTV BAP/DGB anzusehen sei, und sodann im dortigen Absatz 3 hinsichtlich der Höhe des Zuschlags wiederum auf Regelungen des Kundenbetriebs verwiesen, wobei die Höhe dieser Zuschläge ebenfalls begrenzt sei.
Sinn und Zweck – soweit er aus der Norm heraus erkennbar – sprächen ebenfalls für ein solches Verständnis. Bei dem MTV BAP/DGB handele es sich um einen Tarifvertrag i.S.v. § 10 Abs. 4 S. 2 AÜG a.F., der den nach § 10 Abs. 4 S. 1 AÜG a.F. grundsätzlich geltenden equal pay-Anspruch des Zeitarbeitnehmers beseitige. Damit liege zunächst nahe, dass die Tarifvertragsparteien des MTV BAP/DGB eigenständige, von den Tarifregelungen des Einsatzbetriebs abweichende Bestimmungen treffen wollten. Andernfalls hätte man es bei der gesetzlichen Regelung belassen können. Genau dies sei hier bzgl. der Zuschläge für die Arbeit zu besonderen Zeiten geschehen. § 7.2 Abs. 1 MTV BAP/DGB treffe hinsichtlich der Grundvoraussetzungen für den Anspruch auf Nachtarbeitszuschläge eine eigenständige Bestimmung, die sich von derjenigen des Einsatzbetriebs – je nach dortiger Rechtslage – zugunsten oder zuungunsten des Zeitarbeitnehmers unterscheiden könne.
Entgegen der Auffassung des Hess. LAG gehe es deshalb auch im Verhältnis des MTV BAP/DGB zum MTV F – oder zu anderen Bestimmungen in Einsatzbetrieben – nicht um eine Besser- oder Schlechterstellung der Zeitarbeitnehmer, sondern es handele sich um andere
Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung des Anspruchs auf einen Nachtzuschlag. Dies werde schon daraus deutlich, dass der MTV F zwar einerseits für die Gewährung eines solchen verlange, dass mindestens zwei Stunden in der Nachtzeit gearbeitet werden müsse. Andererseits gelte aber bereits die Zeit ab 22:00 Uhr als Nachtzeit im tariflichen Sinne. Der MTV BAP/DGB hingegen lasse die maßgebliche Nachtzeit erst um 23:00 Uhr beginnen, enthalte aber hinsichtlich der erforderlichen geleisteten Arbeitszeit während der Nacht keine Untergrenze. Selbst wenn aber Zeitarbeitnehmer durch den MTV BAP/DGB in bestimmter Hinsicht bessergestellt würden als die Belegschaft im Kundenbetrieb, würde dies zu keinem anderen Ergebnis führen. Es gebe nämlich keinen Auslegungsgrundsatz für Tarifverträge in der Arbeitnehmerüberlassung, nach dem Zeitarbeitnehmer generell und in keiner Hinsicht bessergestellt werden dürften als die Beschäftigten im Einsatzbetrieb.
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Autor
Dr. Alexander Bissels
Fachanwalt für Arbeitsrecht
alexander.bissels@cms-hs.com
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