Mobile Recruiting – Der Stellenwert von aufrichtigem Service

Vermutlich arbeiten die meisten Recruiter noch stationär. Man muss das taugliche 2015er Inventar ja auch nicht wegwerfen. Umso wichtiger ist es, sich bewusst zu machen, dass sich ein großer Teil der Jobsuchenden unterwegs und nebenbei nach Jobs umschaut – je jünger, desto wahrscheinlicher. Daher erstaunt es nicht, dass E-Recruiting und Mobile Recruiting zunehmend zum Synonym verschmelzen.

Der Trend schleicht sich nicht in 56kbit/s an

Die mobile Datennutzung ist ein unumkehrbarer Prozess, der mit steigender Leistungsfähigkeit der Endgeräte, immer günstigeren Datenvolumina und besseren Funkstandards ordentlich an Fahrt aufgenommen hat.

Wer seine Statistiken ab und zu prüft, hat längst festgestellt, dass Zugriffe auf eigene Seiten mit zunehmender Häufigkeit von Smartphones oder Tablets erfolgen. Bereits 2017 waren das laut Statista über 40 % aller Seitenaufrufe in Europa (Nordamerika fast 50 %, Afrika und Asien jeweils über 60 %). Die guten alten PC-Türme werden vor allem in dienstlichen Zusammenhängen immer noch genutzt. Ihre Rolle wird in privaten Szenarien aber immer schmaler. Der Mobile first-Ansatz ist eine logische Konsequenz. Damit ist auch Mobile Recruiting nichts, was demnächst mal angepackt werden sollte. Die Auseinandersetzung damit sollte schon Recruiter-Realität sein oder werden.

User erwarten Mobile Recruiting

Einer aktuellen Umfrage zufolge erwarten drei Viertel der Berufseinsteiger/-innen, dass sich der mobile Recruitingprozess schon bald durchsetzen wird. Etwa gleich viele geben an, sich sogar häufiger bewerben zu wollen, wären mobile Bewerbungs-Verfahren bereits Standard (Crosswater Job Guide). Besonders interessant scheint der Aspekt der Zeitersparnis zu sein. Mit dem Angebot mobiler Bewerberprozesse läuft man also offene Türen ein.

Von Haus aus hoher Jobwechselwille

Jahrzehntelange Karrieren in derselben Firma, ewige Unternehmenstreue … Das klingt nach „Es war einmal“ und treibt Unternehmern auch tatsächlich Nostalgie-Tränen in die Augen. Hilft aber nichts, wir müssen nach vorne schauen, denn die beschleunigte mobil-digitale Welt ist mit einem wachsenden Wechselwillen verbunden.

Aus einem Interview der TALENTpro mit dem Wirtschaftspsychologen Benjamin Adamaschek geht hervor, dass die neueste Arbeitnehmergeneration, die „Generation Z“ schon ohne den Faktor Frust eine große Jobwechselfreude offenbart. Kürzere Jobwechsel-Intervalle passen einfach gut zur digitalen Welt.

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Ein weiterer Trend: Laut dem Gallup-Engagement-Index fühlen sich sagenhafte 70 % der Arbeitnehmer/-innen ihrem Unternehmen emotional nicht bis kaum verbunden (Stand 2016, leichte Verbesserung seit 2009). Mangelnde Wertschätzung, Unzufriedenheit mit Gehalt und Arbeitszeitregelungen steigern die Offenheit für einen neuen Job auf über 50 % (Bankpower „Studie Jobzufriedenheit 2018“).

Recruitingfaktor Jobfrust – und warum er beim Mobile Recruiting noch höher ist

Kommt Unzufriedenheit im Job zur allgemeinen Freiheitsliebe dazu, halten wenige ihre Füße still. Jobfrust ist eine emotionale Sache. Je näher allerdings das heimische Sofa und das Feierabendbier rücken, desto eher wird aus einem „Keinen Tag länger!“ ein „Naja, es gibt eben so Tage …“ Die negative Emotion wird schwächer – die Motivation für die Jobsuche sinkt.

Ein einfaches Gedankenspiel: Wenn eine Lageristin (es gibt sie selten, aber es gibt sie) von der Nachtschicht nach Hause kommt, fährt sie zuhause nicht noch ihre Core Duo-Kiste hoch, um nach einem neuen Job zu suchen, sondern fällt ins Bett. Solange sie aber frustriert im Bus sitzt, mäandert sie auf ihrem Smartphone vielleicht noch über ein paar Stellenanzeigen. Der Korridor ist kurz, die Begleitumstände schwierig. Wie erreichen wir diese Person?

HR-Torschlusspanik führt zu verschlossenen Toren

Die mangelnde Erfahrung vieler Personaldienstleister auf dem Feld Mobile Recruiting und die Erkenntnis, „dass etwas passieren muss“ führen nicht selten dazu, dass zum Beispiel schnell eine App gekauft wird. Angebote gibt es, sie sind aber oft nichts weiter als eine Verlängerung gängiger Maßnahmen in den mobilen Bereich – alter Wein in neuen Schläuchen. Es ändert sich rein gar nichts an ihrem Recruiting-Misserfolg.

Die Situation des Kandidaten einschätzen

Angenommen, man hätte sich in einem ersten Schritt (in Auseinandersetzung mit Ihrer Candidate Persona, z. B. in Workshops) genug Zeit genommen, herauszufinden, wen man eigentlich genau anspricht, wo und wann. Dann wäre es nicht ganz falsch, „eine App oder ein mobiloptimierter Service muss her“ zu denken. Es wäre aber immer noch zu kurz gedacht. Sehr viel wichtiger ist nämlich die Frage, was man mit der App anfängt. Wie begegnet man selbst der erwünschten schnellen Kommunikation?

Unterwegs sein, heißt abgelenkt sein

Das Setting für mobile Internetnutzung ist sehr wechselhaft und abhängiger von externen Faktoren (In unserem Beispiel: Bremst der Bus scharf? Unterhält sich hinter mir jemand lautstark über die letzte Lasertag-Party? Riecht es nach Erbrochenem?). Es unterscheidet sich damit erheblich vom linearen, stationären Setting. Die/der Jobsuchende hat weniger Zeit, ist nicht nur physisch, sondern auch geistig unterwegs zum Zielort, sie ist abgelenkter.

         

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Gute, alte Situation: Sie fahren mit Ihrem Auto an einem Plakat vorbei. 1. Sie nehmen es nicht wahr, weil das Motiv nicht plakativ ist, sondern wie aus einem Wimmelbilderbuch (oder einfach viel zu langweilig). 2. Angenommen, Sie nehmen es doch wahr, dann erfassen Sie nicht, worum es geht, wo und wann es stattfindet. Weil der Layouter das Plakat mit großer Typo nicht mehr so schön gefunden hätte und weil 3. der Entscheider fand, es müsse noch viiiiel mehr Information drauf. Das kann alles funktionieren, wenn Sie im ablenkungsfreien Wald darauf treffen. Nicht, wenn es für vorbeifahrende Autos konzipiert ist. So ist es auch, was die mobile Internetnutzung angeht. Wir müssen unser Angebot daran anpassen.

Serviceangebot niedrigschwellig und empathisch gestalten … und erfüllen

Wie erreiche wir also, dass die müde Lagerarbeiterin auf uns aufmerksam wird und sich dann auch noch abgeholt und eingeladen fühlt. Wie niederschwellig und ansprechend können wir unser Angebot gestalten, dass sie die kleine vom Tag übrige Kraftreserve in eine Kontaktgeste fließen lässt? Zum Beispiel in einen Tap auf „Direktrückruf“ oder auf den tageszeitaktuellen Chatfenster-Text „Ich weiß, wie müde Sie gerade sind (denn ich bin es auch). Wollen wir trotzdem kurz chatten? Ich denke, dass Sie einen Job suchen und ich kann vielleicht helfen.“ Es müssen ehrliche und erfüllbare Angebote sein, keine Lock- und Luft-Sätze.

Eine App ruft nämlich nicht zurück, eine App kann auch nicht (gut) chatten. Ganz gleich, wie fein Sie Ihr BMS (Bewerbermanagementsystem, engl. ATS) getunt haben:

Der eigentliche Erfolgsfaktor des Mobile Recruiting kann am Ende nur der Service sein.

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Ein Beispiel, warum schlechter Service noch schlechter ist als kein Service

Während ich diese Zeilen schreibe, mache ich übrigens eine Live-Erfahrung in Sachen misslungenes Service-Design, fernab von Personalfragen: Ich brauche ganz dringend Hilfe bei einem Plugin. Der Anbieter bietet Chatsupport an. Happy! Man wird mir ratzfatz helfen. Ist schließlich Echtzeitkommunikation. Ich schildere mein Problem um 10:44. Eine nicht besonders hilfreiche Antwort erreicht mich „schon“ um 11:19! Offensichtlich wurde ich nicht verstanden. Ich präzisiere mein ohnehin schon präzises Problem also um 11:19. Die zweite Antwort kommt um 11:58. Wieder ist sie freundlich, berücksichtigt aber erneut nicht mein eigentliches Problem. Nachgefragt wird auch nicht. Ich bin frustriert, weil ich nicht weiterkomme. Deswegen erneuere ich meine Anfrage um 11:58 (immer noch freundlich) und beschränke sie auf sechs Wörter, die nur „ja“ oder „nein“ als Antwort erfordern. Darauf warte ich jetzt seit insgesamt sechs Stunden. Nicht mehr happy. Dabei sitze ich geduldig und auf meine Arbeit fokussiert in meinem superstillen Büro, nichts lenkt mich ab, nichts Wichtigeres erfordert eine Handlung. Dass ich nicht total angefressen bin, liegt nur daran, dass es für mich ein perfekter Aspekt eines Themas ist, das ich gerade verfolge (Nachtrag: Die Antwort kam nie).

Kein Wunder: Schlechter Service fällt auf

Durch die hohe Erwartungshaltung „mir kann sofort geholfen werden“, die durch das Service-Instrument Chat geschürt wird, ist die Fallhöhe auf „man kümmert sich nicht um mich und hilft mir so ganz überhaupt nicht“ kilometerhoch und der Aufprall hart.

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Wäre ich jetzt eine müde Lagerarbeiterin, die gerne mit einem Recruiter hätte chatten wollen – meine Kontaktdaten, geschweige denn Bewerbungs-Unterlagen wären niemals bei diesem Dienstleister gelandet. Erst recht nicht nach den DSGVO-erzeugten zusätzlichen Kommunikationshürden, a la „wollen Sie wirklich wirklich, dass wir Ihre Daten nutzen?“

Service hat Auswirkungen aufs Employer Branding – vor allem schlechter Service

Positive Erfahrungen münden in Zufriedenheit, negative brauchen ein Ventil, damit Satisfaktion eintritt. Genau wie Jobfrust ist nämlich auch Service-Frust eine emotionale Sache. Als Ventil kann zum Beispiel prima eine schlechte Unternehmensbewertung herhalten (die ist mobil auch schnell erledigt). Daher sind NICHT-Empfehlungen bei Negativerfahrungen prozentual auch deutlich häufiger vertreten als Empfehlungen nach einer positiven Erfahrung. Wir schaden uns also durch einen Bad-Hair-Day-Service gegebenenfalls nachhaltiger als durch ein halbes Jahr picco bello Recruitings.

Negativ-Historie des Wörtchens „Service“ als Vorteil nutzen

Für die meisten Menschen ist so eine schlechte Erfahrung nichts Neues. Wir haben uns daran gewöhnt, dass die Service-Werkzeuge oft vielfältig sind und technisch zuverlässig funktionieren. Wir haben uns aber auch daran gewöhnt, dass durch die Werkzeuge vorgegebene Service-Versprechen nicht eingelöst werden. Das ist nichts anderes als mangelnde Wertschätzung.

Service heißt nichts anderes, als dass jemandem gedient werden soll. Wieso kommt es dann eigentlich, dass sich meine Nackenhaare aufstellen, wenn ich eine Service-Hotline anrufen muss.

Wieso schreibe ich überhaupt „muss“ und nicht „darf“? Warum verkrampfe ich leicht, wenn ich ein Erinnerungsschreiben von meinem Autohaus erhalte: „Wir möchten Sie freundlich daran erinnern, dass der Kunden-Service wieder ansteht.“ Wieso nervt es mich, dass ich nach jedem unbefriedigenden Telefonat beurteilen soll, wie zufriedenstellend das Telefonat gewesen ist? Wäre versprochener Service auch Mind-Set-Service, sollte das alles doch richtig nett sein und Spaß machen.

Vermutlich liegt es daran, dass Teile der Dienstleistungsbranche den Begriff Service jahrzehntelang zunehmend beschönigend verwendet haben. Größere Versprechen, weniger Leistung. Die wachsende Konkurrenz, gerade in Branchen mit niedrigeren Margen (z. B. Paketlogistik), verstärkt den Effekt oder zumindest die Empfindung.

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Diese unschöne Entwicklung hat aber einen tollen Effekt: Man kann schon durch „normalen“ Service positiv auffallen. Sie müssen also keinen Salto machen oder mit Gutscheinen winken. Service muss einfach nur so gestaltet sein, dass er die Versprechen einhält, die er gibt. Die Kehrseite: Tut er das nicht, bewirkt er das Gegenteil dessen, was er bezweckt.

Die Frage sollte also nicht lauten: Welcher Service wäre wirklich cool oder welchen Service will ich bieten? Viel wichtiger ist die Frage: Welchen Service bin ich bereit, kompromisslos zu erfüllen?

Vollständiges Profil? Ja gerne, aber nachts um 02:10 reichen erstmal ein paar Infos

Folgen wir dem Beispiel weiter. Was brauche ich wirklich – nachts um 02:10? Versende ich einen Textbaustein, in dem ich einen Lebenslauf und ein Motivationsschreiben fordere? Dann habe ich mir alle Mühe umsonst gemacht, die Chance ist vorbei. Wenn ich aber gleich drei, vier Daten abfrage und einen Gesprächstermin vereinbare, ist das ein vergleichbarer Aufwand für mich und ein deutlich niedrigerer und wertschätzender für mein Gegenüber. Das prägt sich ein und bindet.

Der Erfolg ist nur eine (innere) Einstellung weit entfernt

Kommen wir zu unserem Beispiel zurück: Die Lageristin chattet Sie tatsächlich an. Für einen Personaldienstleister ist Kundenkontakt das absolute Sahnehäubchen. Besser kann man es nicht treffen. Ich kann sicher sein, dass ich bei ihr einen sehr, sehr dicken Stein im Brett habe, wenn das Gespräch von einer/einem überzeugten, servicegetriebenen Mitarbeitenden geführt wird, die/der Empathie für die Lageristin aufbringt, sie abholt und ihr wirklich helfen will. An den Abschluss muss dabei gar nicht gedacht werden, der folgt auf so viel echtes Bemühen ganz natürlich.

Ohne Frage können Sie mit Ihrem BMS auch automatisiert kommunizieren (lassen) – und das nicht zu schlecht. Mit Ihrem mobilen Service genauso. Aber ganz gleich wie viel Mühe Sie in wertschätzende Text-Bausteine stecken – in der Echtzeitkommunikation verbessern Sie mit Ihrer Empathie, Ihrem Gespür dafür, was für den Bewerber/die Bewerberin dran ist, Ihren Recruitingerfolg erheblich.

Ich kann mich an fast keine Service-Situation erinnern, in der ich mich als Mensch wahrgenommen und wertgeschätzt gefühlt habe. An die wenigen kann ich mich aber noch sehr gut erinnern.

Auch wenn es im harten Recruiter-Alltag vielleicht manchmal untergeht. Es hilft immer, immer, immer, sich zu vergegenwärtigen, dass wir es mit Menschen zu tun haben (die ein Problem haben, ein Bedürfnis, eine Unsicherheit). Alles was Sie über die reine Pflichterfüllung hinaus in Ihr Gegenüber zu investieren bereit sind, kommt doppelt zurück. Ich greife jetzt mal ganz tief in die „Gutmensch-Vokabular“-Kiste und bemühe das Wort Nächstenliebe. Liebe (behandle) deinen Nächsten wie dich selbst. Das ist so einfach, so altbacken – so brandaktuell und praktischerweise so zielführend.

Fruchtbare Hilfe von außen

Sie wollen ja gerne, aber Sie wissen nicht, wie Sie es angehen sollen? Wir haben uns schon eine Weile mit Service Design auseinandergesetzt. Wir können Sie mit unseren softwareseitigen Möglichkeiten oder durch einen Workshop unterstützen. Schreiben Sie uns einfach eine E-Mail. Wir selbst haben uns unter anderem von Andreas Fehr beraten lassen.

 

Beschleunigtes und vereinfachtes Recruiting: Kommen Sie auf uns zu – wir beraten Sie gerne!

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